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V-Rod auf dem Hockenheimring

(c) Markus Jahn

Heißes Feeling – die Sonne brennt auf den Helm. Die funkelnde V-Rod steht in der Boxengasse und wartet gierig mit laufendem Motor darauf, ihre Kraft auf der Rennstrecke unter Beweis zu stellen. Schließlich ist sie ‚Born on the Racetrack‘. Meine Hände umgreifen die Lenkerenden. Das Kommando ist klar: Gang rein, Gas auf, einkuppeln und beschleunigen. Das Getriebe schlägt, der Motor heult auf und setzt das Kraftstoffgemisch in einen kompromisslosen Spurt um. Das Hinterrad verliert kurz die Haftung, nimmt aber sofort den Grip wieder auf.

Raised on the Street

Für Harley-Davidson ist die V-Rod ‚Raised on the Street‘. Sie ist die Kombination aus all dem, was eine Harley ausmacht. Ihr Design ist einzigartig und gekonnt, sie zieht unweigerlich die Blicke der Passanten auf sich. Sie vermittelt durch die Sitzhaltung die typische Gelassenheit. Doch sie will noch mehr. Ein aggressiver, hochdrehender Motor sorgt für atemberaubende Beschleunigungswerte und bereitet dem Fahrer in Verbindung mit einem ausgereiften Fahrwerk jenes Vergnügen, das er bislang nur auf Sportmotorrädern glaubte erleben zu können. Auf der Straße ist sie über jeden Zweifel erhaben. Doch ist die Hausstrecke nicht auch ein kleiner Racetrack? Ich will es spüren. Die V-Rod soll sich der Herausforderung stellen und beweisen, dass sie tatsächlich auf der Rennstrecke geboren wurde. Das ehrgeizige, wenngleich auch nicht ganz ernstgemeinte Ziel: sie soll es mit einer Aprilia RS 125 aufnehmen. Die kleine Italienerin hat zwar eindeutige Vorteile in der Schräglagenfreiheit, doch die Leistung ist bedeutend niedriger als beim amerikanischen Silberling.

Unweigerlich zieht der V-Twin aus der Boxengasse heraus. Es folgt direkt die erste Kurve, die es mit größtmöglicher Schräglage zu nehmen gilt. Die Kühlerverkleidung setzt sofort nach dem Stiefelabsatz auf und bereitet rechts bei etwa 33° die Grenze (links: 36°). Am Kurvenende schalte ich in den zweiten Gang und beschleunige mit schreiendem Motor vollgas in die kurze Gerade. Trotz ihres hohen Drehmoments verliert die V-Rod zu keiner Sekunde den Grip zum Asphalt. Sie scheint quasi gegen Highsider resistent. Noch hält sie mit der Aprilia RS mit, indem sie ihre hohe Motorleistung ausspielt und gekonnt nach vorne läuft. Bei der nächsten 90°-Kurve werden die Bremsen stark beansprucht, bringen das Motorrad aber gekonnt von der hohen Geschwindigkeit herunter. Sie sind gut zu dosieren, benötigen jedoch hohe Handkräfte für die Vorderbremse. Die V-Rod trotzt den vielen intensiven Bremsmanövern; man kann sich auf die drei Scheiben in jeder Situation verlassen. Selbst aus hoher Geschwindigkeit ist das blockierende Hinterrad sicher zu kontrollieren.

(c) Markus Jahn

Erwartungsgemäß kaum Kurvenspeed

Der V-Twin nähert sich der S-Schikane und wird dabei konstant von den seitlich stehenden Arbeitern bestaunt. Leider helfen ihr die Blicke wenig, denn jetzt kommt die Schräglagenfreiheit der Aprilia RS zur Geltung, deren Fahrer mit aufsetzendem Knie die Schikane mit hoher Geschwindigkeit durcheilt. Funken ist das, was die VRSCA hinterlässt. Und natürlich verliert sie viel von der bisher flotten Gangart. Jetzt gilt es, auf der letzten Geraden und den zwei langen Kurven vor dem Ziel noch einmal die Motorleistung heranzunehmen – aber keine Chance. Die Aprilia RS ist einfach zu schnell in den vielen Kurven und überholt daher mit deutlich höherem Kurvenspeed.

Sie fährt deshalb als erste ins Ziel. Man kann eben nicht alles haben. Der amerikanische Hot Rodder hat trotzdem durch seine Leistung überzeugt. Der kraftvolle Motor beschleunigt aus jedem Drehzahlbereich vehement, so dass es dem Fahrspaß keinen Abbruch tut, wenn man einmal nicht heruntergeschaltet hat. Sichtlich hat sich das Fahrwerk auf der Rennstrecke wohlgefühlt, auch wenn die Schräglagenfreiheit keinen Baum aus der Erde gerissen hat – auf der Straße hingegen reicht sie meistens. Und damit stimmt es, was Harley-Davidson 2002 in das V-Rod-Prospekt geschrieben hat: „Geboren auf der Rennstrecke, aufgewachsen auf der Straße“. Das Bike bringt die Renngene mit auf die Hausstrecke und überzeugt dort dann durch beeindruckende Fahrbarkeit, die durch stets abrufbare Leistungsspitzen in bislang für Harley-Fahrer ungeahnte Höhen gesteigert werden kann.

Rennstrecken-Feeling

Gegen Abend hat es abgekühlt – die heiße Rennstrecken-Stimmung ist aber geblieben. Nach vielen Runden ist das Erstaunen der Mitfahrer groß, wie gut sich der V-Twin aus den USA auf dem Hockenheimring schlägt. In vielfältigen Diskussionen wird das letzte noch herausgeholt. Das letzte Highlight des Tages ist es jedoch, wieder durch die Boxengasse zurück auf die Landstraße zu fahren – mit einem intensiven Eindruck, was auf der Strecke alles möglich ist.

Einmal auf der Rennstrecke gewesen, offenbart die V-Rod ganz neue Qualitäten. Der aggressiv hochdrehende Motor macht ernst. Das Fahrwerk gibt ihm die notwendige Basis und die Bremsen holen ihn wieder auf den Boden zurück. Und das alles geht auch auf der Straße. Denn dort überzeugt der Performance-Cruiser mit einer bequemen Sitzhaltung, die selbst stundenlanges und pausenloses Fahren ermöglicht.

Fazit: Wer glaubt, für großartige Beschleunigung und ein optimales Fahrwerk nicht auf Harley-Davidson zurückgreifen zu können, erhält mit der V-Rod die Antwort. Zwar entspricht der Antrieb in keiner Weise den klassischen V-Triebwerken und trotzdem ist er ein unverkennbares Original – so wie die ganze Maschine. Ein Cruiser, der selbst auf der Rennstrecke bestehen kann.