Motorrad angetestet: Harley-Davidson 2009 XR1200 Sportster
Die sportlichste Harley-Davidson, die es je gab?
Die Jungs und Mädels aus der Harley-Factory scheinen ganz begeistert von der Idee zu sein, ihren Namen auch auf Kurvenjägern zu lesen. In den letzten Jahren gab’s schließlich so manchen Anlauf, fahraktive Motorräder an den Mann zu bringen. Diesmal soll es „die sportlichste Harley-Davidson“ sein „die es je gab“. Ob ihr wohl der Durchbruch gelingen wird?
Nach zwei Dyna Glide-Modellen und der VRSCR Street Rod dürfen jetzt die Sportsters ran. Die waren schließlich schon immer die kompakteren und wendigeren Einstiegsmodelle in den Harley-Way of Life. Für 10.990,- € gibt’s das Naked Bike aus Milwaukee entweder in Schwarz-Orange oder in Schwarz-Silber. Das schnörkellose Design orientiert sich klar an der Harley XR750, der Königin des Dirt Tracks. Bei dieser in den USA beliebten Sportart fahren waghalsige Piloten in einem Oval aus Sand und Lehm, wobei Harley-Davidson seit Jahrzehnten große Erfolge feiert.
Am kompakten Rahmen, dem Scheinwerfer, dem schmalem Tank und natürlich dem typischen Evolution-V2 mit 45° Zylinderwinkel ist die gewohnte Sporty-Linie unverkennbar. Der Motor ist Gummi-gelagert und nach einer Kraft-Kur satte 90 PS und 100 Nm (3.400 U/min) stark, gefüttert von einer gut funktionierenden Einspritzung. Der Öl-Kühler links am Rahmen sorgt für einen kühlen Kopf des nach wie vor klassisch luftgekühlten Kraftpaketes. Dem genaueren Betrachter zeigen sich die vielen schönen Details. An der XR ist alles mit Liebe gestaltet, nicht nur das V2-Herz ein Hingucker.
Aufsteigen, anmachen, Kurven jagen, Spaß haben
Jap, die Sitzhöhe ist eindeutig Naked Bike-Niveau. Nichts da mit „lowest seat height ever“, wonach Harley sonst gerne strebt. Die zwei massiven Endtöpfe ragen gen Himmel und die Fußrasten sind knackig-sportlich nach hinten gewandert. Gute Voraussetzungen also, um es in Kurven richtig krachen zu lassen.
Womit man gleich zum Sound kommt. Die fetten Endtöpfe halten sich eher im Hintergrund. Aber einen fetten, muskulösen, auffälligen Klang hat die Sporty dennoch. Wie kommt’s? Die Factory hat das Ganze einfach weiter nach vorne verschoben – der Sound ist bei der XR also in erster Linie nicht mehr dort wo’s rauskommt, sondern da wo’s reingeht. Zu kryptisch? Es geht auch einfacher: das Bike hat ein geniales Ansauggeräusch! Daumen hoch. Und zwar beide.
Was wäre eine Harley ohne Bums von unten raus, ohne das satte „Klack“ beim Einlegen des ersten Ganges? Hat die XR natürlich. Zwischen 2.500 und 4.000 U/min schiebt sie so richtig deftig nach vorne, dreht bis auf respektable 7.000 U/min hoch. Auch wenn die 90 PS das Gewicht von 250 kg sicher nicht in Rekordzeit antreiben – stabiles Metall statt Plastikgedöns wiegt eben. Wenngleich fünf Zentner fast schon sensationell leicht für ein Bike aus Milwaukee sind. Die Sporty wirkt gut durchtrainiert, spritzig und erstaunlich drehfreudig, nimmt sehr direkt Gas an – da macht‘s so richtig Spaß die fünf Gänge durchzuschalten, die eng aneinander anknüpfen. Der leise und pflegeleichte Antriebsriemen sorgt für ein übriges.
Brooooooom klack broooooom klack
Einmal erlebt, will man das immer wieder. Vor allem auch, weil die Seilzug-Kupplung mit vergleichsweise geringer Handkraft zu betätigen ist. Das ein oder andere Wehwehchen bleibt aber: wer seine XR im 1. Gang abstellt, wird vorm Starten einige Zeit den Leerlauf suchen – oder einfach mit gezogener Kupplung anlassen. Wenn der Motor mal läuft, findet sich der Leerlauf übrigens problemlos. Ein 6. Gang dürfte schon auch noch sein; der 5. Gang ist eine absolute Fahrstufe, hat schon bei 100 km/h gute 3.500 U/min. Dafür geht’s aber auch fix an die 170 km/h ran, ab dort wird es dann zäher.
Zurück zum Bums: unterhalb von 2.000 U/min und ganz besonders unterhalb 1.500 U/min gibt sich die Sporty etwas zickig, schlägt in den Rahmen und ruckelt. Fühlt sich zwar nett an, aber mit Fahren ist dann nicht mehr viel. An der Ampel lebt‘s und bebt’s unterm Schritt. Macht das Spaß? Absolut. Wer freut sich nicht, wenn sich die Maschine schon beim Anlassen rüttelt und schüttelt! Weit weg von weichgespülter Vierzylinder-Ware. Über den magischen 2.000 U/min hält sich der V2 angenehm im Hintergrund, zieht einfach nur kraftvoll durch.
Zum spannendsten Teil. Kauft man sich neuerdings eine Harley, um mit ihr durch Serpentinen zu heizen, die Italiener und Japaner zu jagen? Das Wispertal bietet jenseits des Rheins alles was sich der Motorradfahrer wünscht –gut ausgebaute Straßen, schöne Kurven und sogar erstaunlich wenig Verkehr. Als erstes sei gesagt: die XR ist ein Männer-Motorrad. Keine 160 kg, die wie ein Fahrrad förmlich nach Kurven gieren. Aber handlich und dynamisch ist die Sporty allemal. Breiter Lenker und Showa-Upside-Down-Gabel sei Dank. Die zwei hinteren Federbeine führen eine hübsche und verwindungssteife Schwinge. Wenig Grund zum Klagen geben auch die Dunlop-Pneus in den Dimensionen 120/70 ZR 18 und 180/55 ZR 17. Vorausgesetzt es ist trocken und sie wurden warmgefahren.
Wie jagt man jetzt also mit der XR1200?
Herrlich kräftig beschleunigen, vor der Kurve die gut dosierbaren und wunderbar scharfen Nissin-Bremsen genießen, das Bike mit leichtem Nachdruck in die Schräge navigieren, sich über die sehr anständige Schräglagenfreiheit freuen, aufrichten und Vollgas – zum immer wieder geilen Motor-„Brooooom“ siehe oben.
Die insgesamt einen Tick zu weich eingestellten Federelemente dämpfen Unebenheiten gut weg, wobei die Gabel vorne beim scharfen Bremsen merklich eintaucht. Bodenwellen spielen auch in Kurven keine Rolle, der Geradeauslauf ist bei hohen Geschwindigkeiten einwandfrei. Soweit man das bei einem Naked Bike sagen kann, bei dem der Wind um 200 km/h doch „a bisserl um `d Nos’n rum“ bläst. Wie lange man diese Geschwindigkeit fahren will hängt vor allem vom Nacken ab, denn Windschutz gibt es kaum. Und sicher auch vom Tankinhalt. Bei Vollgas ist die Sporty kein Kostverächter, wer könnte es ihr verdenken. Ansonsten gibt sie sich bei sportlicher Fahrweise durchaus genügsam, ist mit 5,7l auf 100km zufrieden. Das leicht zu betankende, schmale Spritfass fasst 13l und ermöglicht so eine anständige Reichweite von 220 Kilometern. Nach 170 km fordert die XR erstmals zum Tanken auf. Den schön gemachten Tankdeckel kann übrigens leider jeder öffnen – er ist nicht abschließbar.
Das nett gestaltete, schlichte Kombiinstrument weiß aber noch mehr: neben dem gut ablesbaren digitalen Tacho und dem dominierenden Drehzahlmesser gibt’s das Harley-typische LCD-Infofeld mit zwei Trip-Zählern, Gesamtkilometeranzeige und Uhrzeit. Warum die sonst gewohnte Restkilometeranzeige bei der XR fehlt, bleibt verborgen. Praktisch: bei ausgeklapptem Seitenständer läuft „Side Stand“ durch das Display. Unpraktisch: der Seitenständer ist manchmal etwas knifflig auszuklappen, muss mit langem linken Bein nach vorne bewegt werden, ansonsten klappt er wieder ein.
Überhaupt zur Beinlänge: meine 1,85m sind eine sehr schöne Größe für die Harley. Beim Rangieren gibt’s ebenso wenige Probleme wie bei längeren Touren. Nach oben ist ganz sicher noch Spielraum. Nach unten bestimmt auch, aber ein Stöpsel sollte man nicht gerade sein. Dafür dann doch lieber eine Dyna Low Rider. Für Touren eignet sich das Bike durch die sportlich-bequeme Fahrerhaltung und die angenehme Polsterung des Sitzes einwandfrei.
Sonst noch was?
Ouh ja, die piepsige Hupe. Hey Harley, das konntet ihr bei den Big Twins und den VRSCs doch viel besser! Und es sei noch etwas zur automatischen Blinkerabschaltung gesagt, die grundsätzlich schon ganz ordentlich funktioniert – aber eben manchmal auch versagt. Dann fährt man hunderte von Metern mit laufendem Blinker, wird von anderen auf das „vergessene“ Signal aufmerksam gemacht. Und öfters schaltet man genau dann den Blinker wieder an, wenn die Automatik ihn just zuvor deaktiviert hat. Sei’s drum.
Zurück zur Ausgangsfrage: Ist die XR wirklich die sportlichste Harley die es je gab? Vielleicht – aber Leute, habt ihr die geniale Street Rod vergessen? Deren einziges Problem war nur das zu nah an der V-Rod angelehnte Äußere.
Genau das macht die XR1200 besser – denn sie hat ein konsequent-eigenständiges und doch Harley-typisches Design in Verbindung mit tollen Fahrwerkskomponenten und einem klasse Motor. Ein wirklich geiles Bike und eine echte Alternative zu den Japaner- und Italiener-Nakeds. Weiter so.
Die Europäer freuen sich auf mehr.